29. Oktober 2024

BGH: Versicherung muss überhöhte Sachverständigenkosten erstatten

Nach dem Amtsgericht Nordhausen und dem Landgericht Mühlhausen musste sich der Bundesgerichtshof am 12.03.2024 (Az.: VI ZR 280/22) mit einem Fall auseinandersetzen, in dem es um einen Streitwert von sage und schreibe 20 Euro ging. Konkret ging es um die Kosten für ein Kfz-Gutachten. Die Versicherung hatte in dem zugrundeliegenden Fall die Kosten für das Gutachten fast vollständig beglichen – bis auf einen Rechnungsposten mit dem Titel „Zuschlag Schutzmaßnahme Corona“, der mit 20 Euro angesetzt war. Um diesen Posten wurde in dem Gerichtsverfahren gestritten. Dabei ging es aber eigentlich um das Prinzip des sog. Werkstattrisikos. Dahinter verbirgt sich ein für die Kfz-Haftpflicht bekanntes Grundprinzip der Rechtsprechung, nach dem Unfallverursacher – und folglich deren Versicherung – auch für überhöhte Reparaturkosten haften müssen. Gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofs wird dieses Prinzip nun auch auf die Kosten eines Sachverständigen ausgeweitet.

Kfz-Sachverständigenbüro stellt Rechnung für Gutachten inkl. Corona-Pauschale

Im März 2021 war es zu einem Verkehrsunfall gekommen. Der Versicherungsnehmer der beklagten Versicherung hatte dabei das Fahrzeug eines anderen Verkehrsteilnehmers beschädigt. Der Geschädigte beauftragte ein Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des Schadens. Dieses stellte der Versicherung die Kosten für das Gutachten in Rechnung, inkl. einem „Zuschlag Schutzmaßnahme Corona“ in Höhe von 20 Euro. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers beglich die Rechnung, abzüglich der 20 Euro, die sie als unzulässig ablehnte. Das Sachverständigenbüro zog vor Gericht, um den Betrag einzufordern.

Im Rahmen der Verhandlung wurde allerdings deutlich, dass es hierbei um mehr als diesen Kleinstbetrag, sondern vielmehr um Grundsatzfragen des Schadensersatzrechts ging. Nämlich: ob solche Nebenkosten als notwendiger Schadensaufwand gemäß § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erstattungsfähig sind. Zunächst beantworteten sowohl das Amtsgericht Nordhausen mit Urteil vom 05.01.2022 (Az.: 26 C 357/21) als auch das Landgericht Mühlhausen mit Beschluss vom 07.09.2022 (Az.: 1 S 12/22) diese Frage mit nein und wiesen die Klage ab. Schließlich ließ das Berufungsgericht die Revision zum Bundesgerichtshof zu.

BGH weitet Werkstattrisiko auf Sachverständige aus – Haftpflichtversicherung muss zahlen

Das oberste deutsche Gericht sah das jedoch anders und stellte klar, dass diese Grundregel, laut welcher der Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung auch für überhöhte Reparaturkosten haften müsse, auch auf überhöhte Kosten eines Sachverständigen anzuwenden sei. Vorausgesetzt, dem Geschädigten könne kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorgeworfen werden. So habe der Geschädigte ein berechtigtes Interesse daran, der Expertise eines Sachverständigen zu vertrauen, ohne jedoch selbst in großem Umfang Nachforschungen anstellen zu müssen, ob die Kosten dafür gerechtfertigt sind oder nicht.

Der BGH betonte in seiner Urteilsbegründung:

„Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei.“

Geschädigte sind nicht für überhöhte Rechnungspositionen verantwortlich

Der Geschädigte dürfe also den Weg einschlagen, der seiner Ansicht nach am ehesten seinen Interessen diene. Das heißt, er dürfe einen Gutachter seiner Wahl beauftragen. Selbst wenn dessen Rechnung überhöht erscheine, bliebe das Risiko beim Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung, so die Richter. Folglich seien auch solche Rechnungspositionen erstattungsfähig, die ohne Schuld des Geschädigten gemäß Paragraf 249 Abs. 2 Satz 1 BGB unangemessen (also nicht zur Erstellung des Gutachtens erforderlich) sind.

In dem Fall ging es nebensächlich auch um die Frage, ob die Pauschale für Corona-Schutzmaßnahmen gerechtfertigt war. Nach Auffassung des BGH konnten diese Maßnahmen während der Pandemie durchaus als notwendige Schutzvorkehrungen für die Gesundheit aller Beteiligten angesehen werden. Es handele sich dabei also um ein berechtigtes Interesse des Sachverständigen und des Auftraggebers. Unter diesem Aspekt wären die Kosten in Höhe von 20 Euro nicht einmal als überhöht anzusehen, so der BGH. Und selbst, wenn sie es wären, müsste die Haftpflichtversicherung diese dennoch übernehmen.

Mit diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof die Position der Geschädigten in Verkehrsunfällen erheblich gestärkt, denn jetzt ist klar: Versicherungen müssen auch solche Sachverständigenkosten übernehmen, die überhöht sind bzw. nicht objektiv notwendig erscheinen, insofern sie nicht dem Geschädigten anzulasten sind. In der Anwaltskanzlei Lenné begrüßen wir diese Ausweitung des Werkstattrisikos auf Sachverständigenkosten sehr, hat sie doch weitreichende Folgen für die Abwicklung von Schadensfällen und stärkt die Rechte der Unfallgeschädigten. Wir stehen Ihnen zur Seite, wenn Sie der Geschädigte eines Verkehrsunfalls sind und die gegnerische Versicherung die Kostenübernahme einer Werkstatt- oder Sachverständigenrechnung bzw. einzelner Positionen verweigert. In einem kostenlosen Erstgespräch beraten wir Sie gerne zu Ihrem Fall.

Dominik Fammler
Dominik Fammler

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Dominik Fammler ist auch Fachanwalt für Verkehrsrecht.

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