Cancel Culture, Hetze & Meinungsfreiheit – Strafrechtliche Bewertung von Äußerungen auf Social Media
Soziale Netzwerke als Brennpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen
Plattformen wie Twitter, Instagram oder Facebook haben sich zu zentralen Bühnen öffentlicher Debatten entwickelt. Die Gespräche dort verlaufen häufig aufgeladen, emotional und geschehen oft unter dem Schutz der Anonymität. Diese fehlende persönliche Identifizierbarkeit führt dazu, dass Nutzer eher bereit sind, Beiträge zu posten, die sich an der Grenze zwischen erlaubter Meinungsäußerung und strafrechtlich relevanter Aussage bewegen. Phänomene wie „Cancel Culture“, Hassrede oder Doxing werfen hierbei zunehmend juristische Fragen auf. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf aktuelle Problemlagen und deren rechtliche Einordnung.
Zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit: Wo wird die Linie gezogen?
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 5 die Freiheit der Meinungsäußerung – auch dann, wenn Äußerungen zugespitzt, provokant oder gesellschaftlich umstritten sind. Dennoch stößt diese Freiheit dort an ihre Grenze, wo strafrechtliche Normen greifen. Besonders relevante Vorschriften sind in diesem Zusammenhang:
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§ 185 StGB – Beleidigung
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§ 186/187 StGB – Üble Nachrede/Verleumdung
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§ 130 StGB – Volksverhetzung
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§ 241 StGB – Bedrohung
Ein wesentlicher Aspekt bei der rechtlichen Beurteilung ist, ob eine Aussage eine Meinung oder eine Tatsachenbehauptung darstellt. Tatsachen sind überprüfbar und können als falsch widerlegt werden. Meinungen hingegen unterliegen grundsätzlich dem Schutz des Grundgesetzes – solange sie nicht die Schwelle zur Schmähkritik oder bloßen Herabwürdigung überschreiten.
Was bedeutet eigentlich „Cancel Culture“?
Unter „Cancel Culture“ versteht man die öffentliche Verurteilung oder Ausgrenzung einer Person aufgrund kontroverser, oftmals als beleidigend empfundener Aussagen. Diese Form der sozialen Ächtung äußert sich etwa in einer Flut aus Kommentaren, Drohungen oder Beleidigungen. Vielfach werden zudem private Informationen oder kompromittierende Inhalte wie Fotos oder Videos veröffentlicht, um den Ruf der betroffenen Person gezielt zu beschädigen.
Strafrechtlich relevant wird das Verhalten insbesondere, wenn personenbezogene Informationen unbefugt offengelegt werden (Doxing), gezielte Diffamierungen stattfinden oder gar zur Gewalt aufgerufen wird – in diesen Fällen greifen unter anderem §§ 111, 241 StGB. Auch die gezielte Verbreitung falscher Tatsachen kann eine strafbare Handlung darstellen. Aussagen wie „Wir wissen, wo du wohnst“ oder „Du wirst bezahlen“ fallen klar unter den Straftatbestand der Bedrohung nach § 241 StGB und sind nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Ein großes praktisches Problem liegt in der Verfolgung der Täter: Diese agieren oftmals anonym, verstecken sich hinter Nicknames oder Fake-Accounts. Die Ermittlungsbehörden stoßen dadurch häufig an ihre Grenzen.
Wie reagiert die Rechtsprechung?
Die juristische Bewertung solcher Fälle ist herausfordernd, da es meist auf die konkreten Umstände ankommt. Allgemeine Leitlinien existieren zwar, aber letztlich sind es individuelle Entscheidungen im Einzelfall. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 19. Mai 2020 (1 BvR 1094/19) betont, dass auch scharfe Kritik von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann – solange sie nicht in persönliche Diffamierung oder ehrverletzende Angriffe umschlägt.
So hat das Oberlandesgericht Dresden am 17. November 2021 (4 W 939/21) entschieden, dass die Bezeichnung einer Impfkritikerin als „rechtsradikal“ keine unzulässige Schmähung darstellt, sondern noch unter den Schutz von Artikel 5 GG fällt.
Gleichzeitig zeigen andere Urteile, dass Online-Äußerungen durchaus Konsequenzen haben können: Das OLG Karlsruhe etwa hielt in einem Beschluss vom 25. Juni 2018 (15 W 86/18) die Sperrung eines Facebook-Accounts für rechtmäßig, nachdem die Nutzerin sich pauschal und abwertend über Muslime geäußert hatte.
Fazit: Ein rechtliches Spannungsfeld
Die strafrechtliche Bewertung digitaler Kommunikation bleibt anspruchsvoll. Gerade in Bezug auf „Cancel Culture“ bewegt man sich oft in einem unscharfen Bereich zwischen zulässiger Kritik und strafbarer Herabwürdigung. Der Gesetzgeber steht vor der Herausforderung, den rechtlichen Rahmen für Online-Aktivitäten klarer zu definieren und effektiver gegen digitale Gewalt vorzugehen. Bis dahin bleibt es in der Praxis entscheidend, jeden Fall individuell und mit Blick auf die konkreten Umstände zu prüfen.
Sie sind betroffen?
Wenn Sie selbst Opfer von Online-Hass oder Bedrohungen geworden sind, stehen wir Ihnen mit juristischer Unterstützung zur Seite. Zögern Sie nicht, Kontakt mit uns aufzunehmen.

Ulrike Frentzen
Angestellte Rechtsanwältin aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwältin Ulrike Frentzen ist auch Fachanwältin für Strafrecht
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