05. Mai 2025

Cancel Culture, Hetze & Meinungsfreiheit – Strafrechtliche Bewertung von Äußerungen auf Social Media

Soziale Medien sind der zentrale Ort für gesellschaftliche Debatten geworden. Die Diskussionen sind dabei oft hitzig, emotional und vor allem anonym. Die Anonymität macht es für viele Diskussionsteilnehmer leichter auch Posts zu veröffentlichen, die auf dem juristisch schmalen Grad zwischen Meinungsfreiheit und strafbarer Äußerung liegen. Gerade Phänomene wie „Cancel Culture“, Hasskommentare und Doxing werfen Fragen nach strafrechtlicher Relevanz auf. Der folgende Beitrag beleuchtet aktuelle Herausforderungen und rechtliche Bewertungen.

Meinungsfreiheit vs. Strafbarkeit – Wo verläuft eigentlich die Grenze?

Die Meinungsfreiheit ist grundgesetzlich in Art. 5 des Grundgesetzes geschützt. Das bedeutet, dass auch unpopuläre, zugespitzte oder polemische Aussagen den Schutz des Art. 5 GG genießen. Das Strafrecht greift dann ein, wenn bestimmte Grenzen überschritten sind. Relevante Vorschriften können hier sein:

  • § 185 StGB Beleidung
  • § 186/187 StGB Üble Nachrede/Verleumdung
  • § 130 StGB Volksverhetzung
  • § 241 StGB Bedrohung

Zentrales Abgrenzungskriterium bleibt, ob es sich um eine Meinungsäußerung oder um eine Tatsachenbehauptung handelt. Liegt eine Tatsachenbehauptung vor, sind diese nachprüfbar und können überprüft werden, wenn sie unwahr sind. Bei Meinungsäußerungen muss die Grenze der Schmähkritik bzw. der reinen Herabwürdigung der Person beachtet werden.

Was ist „Cancel Culture“?

„Cancel Culture“ beschreibt das gezielte und öffentliche Anprangern von Personen wegen anstößiger oder politisch inkorrekter Äußerungen. Die Personen, die „gecancelt“ werden sollen, werden mit Kommentaren, Hassnachrichten und ähnlichem überhäuft. Es werden Bilder und Videos veröffentlicht, die die betroffene Person in dem Ansehen der Öffentlichkeit herabsenken sollen.

Strafrechtlich relevant wird das Verhalten dann, wenn personenbezogene Daten der Person veröffentlicht werden (sogenanntes „Doxing“), eine gezielte Diffamierung der Person erfolgt oder zur Gewalt gegen die betroffene Person aufgerufen wird, §§ 111, 241 StGB. Auch die Verbreitung von Unwahrheiten ist strafrechtlich relevant. Drohungen gegenüber der betroffenen Person wie „Wir werden dich finden“ oder „Du wirst brennen“ sind keine geschützten Meinungsäußerungen. Diese stellen stets den klassischen Fall der Bedrohung nach § 241 StGB dar.

In der Praxis sind Verfahren gegen die Täter schwer zu führen. Die Täter äußern sich online oft anonym und verschwinden hinter Pseudonymen. Eine Identifizierung ist nicht immer möglich.

Wie entwickelt sich die Rechtsprechung zu dem Thema?

Zu beachten ist, dass es gerade bei dem Thema schwierig ist, eine Tendenz der Gerichte zu erkennen. Es handelt sich um Einzelfallentscheidungen, die zwar versuchen allgemeine Kriterien zu entwickeln, jedoch kommt es häufig auf die Begleitumstände der Äußerungen an. Das Bundesverfassungsgericht entschied mit Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 1094/19, dass die Meinungsfreiheit auch drastische Kritik schützt, solange nicht die Grenze zur Schmähung oder Ehrverletzung überschritten ist.

Nach dem OLG Dresden, Beschluss vom 17.11.2021 – 4 W 939/21, stellt beispielsweise die Bezeichnung einer Impfskeptikerin als „rechtsradikal“ noch keine Schmähkritik dar. Die Äußerung ist von der Meinungsfreiheit von Art. 5 GG gedeckt.

Man sollte seine Worte online mit Bedacht wählen, wenn man an seinem Social Media Account hängt: denn das OLG Karlsruhe entschied mit Beschluss vom 25.06.2018, Az. 15 W 86/18, dass die Sperrung eines Facebook-Profils rechtmäßig war, nachdem die Nutzerin einen Beitrag mit pauschalisierenden und abwertenden Aussagen über Muslime veröffentlicht hatte.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die strafrechtliche Bewertung digitaler Äußerungen komplex bleibt. Gerade „Cancel Culture“ bewegt sich rechtlich oft in einer Grauzone – zwischen geschützter Kritik und strafbarer Äußerungen. Der Gesetzgeber steht unter Druck, digitale Straftatbestände effektiver zu fassen und Hass im Internet zu begrenzen. Für die Praxis bedeutet das momentan, dass jeder Einzelfall eine sorgfältige Abwägung von Grundrechten erfordert.

Sind Sie von Hasskommentaren und Gewalt im Netz betroffen? Wir helfen Ihnen gerne! Melden Sie sich bei uns.

von Kübra Görkem
Kübra Görkem

Angestellte Rechtsanwältin aus der Anwaltskanzlei Lenné.

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