Gebäudeversicherung: Vertreter haftet für Unterversicherung
Ein Immobilienbesitzer ließ ein unbewohntes, sanierungsbedürftiges Gebäude von einem Versicherungsvertreter zum Zeitwert versichern. Wie sich im Schadenfall zeigte, war diese Summe allerdings viel zu niedrig angesetzt. Das Landgericht Halle warf dem Vertreter mangelnde Beratung vor und verurteilte ihn zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von rund 102.000 Euro nebst Zinsen und Kosten.
Unterversicherung wegen zu niedrigem Zeitwert
2014 erwarb ein Mann ein Mehrfamilienhaus und ließ dieses mit Beginn zum 14. Mai 2015 versichern. Gekauft hatte er das leerstehende und sanierungsbedürftige Haus für 40.000 Euro. Versichert wurde es mit einer Zeitwertsumme von 200.000 Euro. Diese Summe hatte der Versicherungsnehmer selbst angegeben.
2018 kam es dann zu einem Brand. Es erfolgte eine Begutachtung der Immobilie, die den Zeitwert mit 508.000 Euro bewertete und den Zeitwertschaden mit 142.689 Euro netto zuzüglich Aufräumungs- und Abbruchkosten von 8.925 Euro brutto, insgesamt also 151.614 Euro. Die Versicherung berief sich auf eine Unterversicherung und machte deswegen einen Abzug geltend. Sie zahlte dem Versicherungsnehmer lediglich 40 Prozent des Schadens ohne Mehrwertsteuer. Das wollte dieser nicht hinnehmen.
Versicherungsvertreter prüft Angaben des Kunden zum Zeitwert nicht nach
Der Kunde gab an, vom Versicherungsvertreter nicht angemessen zum tatsächlichen Wert seines Hauses beraten worden zu sein. Er selbst habe den Zeitwert von 200.000 Euro „aus der Luft gegriffen“. Der Vertreter habe diesen Wert übernommen, ohne Nachfragen zu stellen oder zu erläutern, was der Zeitwert ist und wie man diesen korrekt bestimmt. Auch auf die Folgen einer Unterversicherung habe er nicht hingewiesen. Der Fall landete schließlich vor dem Landgericht Halle.
Der Versicherungsvertreter berief sich auf die Beratungsdokumentation. Allerdings hatte er darin lediglich vermerkt: „Kundenwunsch zum Wert von 200.000 Euro absichern.“ Weiter hatte er darin angegeben, dass es keine abweichenden Kundenwünsche zu den vom Vermittler empfohlenen Versicherungen bzw. zur empfohlenen Absicherung gegeben habe.
Nach Auffassung des Gerichts habe laut dem Protokoll keine Beratung in Bezug auf den tatsächlichen Wert des Gebäudes stattgefunden. Die Behauptung des Vertreters, eine höhere Versicherungssumme sei dem Kunden zu teuer gewesen, ließe sich weder anhand des Beratungsprotokolls noch auf anderem Weg beweisen.
LG Halle: Vertreter ist Beratungspflichten nicht nachgekommen
Der Vertreter hätte sich „durch Inaugenscheinnahme oder Einholung einer Werteinschätzung ein eigenes Bild“ machen müssen, ob der vom Kunden als Laie angegebene Zeitwert von 200.000 Euro zutreffend war, so das Gericht. Der Vertreter als Experte hingegen hätte den Irrtum des Kunden über den tatsächlichen Wert des Gebäudes im Rahmen seiner Beratungspflichten bemerken und den Kunden darauf hinweisen müssen.
Das LG Halle fand darüber hinaus keinen Nachweis dafür, dass der Kunde sich nach einer angemessenen Aufklärung bewusst für die Unterversicherung entschieden hätte. Daher verurteilte das Gericht in seinem Beschluss vom 31.3.2023 (Az.: 5 O 414/21) den Versicherungsvertreter zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von ca. 102.000 Euro zzgl. Zinsen und Kosten.
Versäumnis seitens Versicherung und Vertreter
Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig eine korrekte Wertbestimmung und kompetente Beratung vor Versicherungsabschluss ist. Zwar haben Versicherungsvertreter nicht oft mit Zeitwertbestimmungen wegen Leerstands des Gebäudes zu tun, doch haben sie die Möglichkeit – und streng genommen auch die Pflicht –, sich in solchen Fällen Expertenrat durch Spezialisten des Versicherungsunternehmens einzuholen.
Auch in Bezug auf den Versicherer stellt sich die Frage, warum Fehler in der Beantragung von Gebäudeversicherungen wie im vorliegenden Fall nicht erkannt werden. Die Versicherung eines Wohngebäudes zum Zeitwert ist auch für Versicherer kein Regelfall. Daher dürfte ein solcher Antrag nicht einfach durchgewunken werden wie eine übliche Versicherung zum gleitenden Neuwert. Vielmehr hätte das drastische Missverhältnis zwischen angegebenem und tatsächlichem Zeitwert bei der Plausibilitätsprüfung auffallen und der Antrag von Mitarbeitern mit entsprechender Expertise nachgeprüft werden müssen. Ebenso hätte man erwarten können, dass die Antragsabteilung in das Beratungsprotokoll Einsicht nimmt, um eine Unterversicherung entweder auszuschließen oder nachzuprüfen, ob der Versicherungsnehmer diese wirklich bewusst in Kauf nehmen möchte.
In der Anwaltskanzlei Lenné stehen wir Versicherungsnehmern zur Seite, die nicht angemessen zum Abschluss ihrer Versicherung beraten wurden und dadurch finanzielle Verluste erlitten haben. Wenn auch Sie betroffen sind, vereinbaren Sie einfach einen Termin für ein kostenloses Erstgespräch, um sich unverbindlich zu Ihrem Fall beraten zu lassen.
Guido Lenné
Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.
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