Klärungsbedarf durch den Bundesgerichtshof zur Ausübung des Widerrufsrechts nach Ablösung des Darlehens
In Anlehnung an den Volksmund gilt auch bei Streitigkeiten vor Gericht: Zwei Richter - drei Meinungen. Dies bestätigte sich in den letzten Monaten in den Fällen, wo Oberlandesgerichte (OLGs) über die „Ausübung des Widerrufsrechts“ zu entscheiden hatten.
Um die unterschiedlichen Auffassungen der OLGs zu verstehen, müssen wir zwei Aspekte unterscheiden:
- Die zu verhandelnde Sache
- Der Sitz des jeweiligen OLG
Die OLGs urteilen weitestgehend übereinstimmend in den Fällen, in denen das Darlehen bei Ausübung des Widerrufsrechts noch nicht abgelöst war. Hier gilt, dass auch der Widerruf des Verbrauchers nicht verwirkt war.
In den Fällen in denen das Darlehen erst abgelöst wurde und der Verbraucher danach den Widerruf erklärte, sind sich die Oberlandesgerichte jedoch bis heute nicht einig. Dies führt dazu, dass Verbraucher mit dergleichen Widerrufsbelehrung in dem einen Oberlandesgerichtsbezirk obsiegen und in einem anderen unterliegen.
Warum die OLGs zu unterschiedlichen Auffassungen kommen
Im Juli 2016, sorgte der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinen beiden Leitsatzentscheidungen zum Widerruf von Darlehensverträgen für Klarheit bei einigen der häufigsten Rechtsfragen zu diesem Thema. Er bezog deutlich Stellung zu der Rechtsfrage, wann sich eine Bank auf den Schutz der Musterbelehrung des Gesetzgebers berufen kann.
Weiterhin stellte der BGH klar, dass die Ausübung des Widerrufsrechts auch viele Jahre nach Vertragsschluss nicht rechtsmissbräuchlich ist.
Auch zu der Frage, ob und wann ein Widerrufsrecht verwirkt ist, äußerte sich der BGH. Dabei ließ er den Gerichten jedoch einen großen Ermessensspielrum. Die jüngste Entscheidung des OLG Stuttgart zur Frage der Verwirkung ist hier besonders interessant, da der BGH noch im Oktober 2016 eine Entscheidung des OLG Stuttgart aufgehoben hatte. Das OLG hatte sich trotz Ablösung des Darlehensvertrages vor dem Widerruf des Verbrauchers gegen eine Verwirkung ausgesprochen. Der BGH hob die Entscheidung auf, da das OLG Stuttgart die Tatsache, dass das Darlehen vor Widerruf abgelöst wurde, kein Gewicht beigemessen hatte.
Mit den beiden Leitsatzentscheidungen vom 12.07.2016 (- XI ZR 564/15 - und - XI ZR 501/15 -) hat der BGH klargestellt, dass die Annahme einer Verwirkung in jedem Einzelfall durch das Gericht geprüft werden muss.
Dabei wies der BGH ausdrücklich darauf hin, dass einzig in dem vertragstreuen Verhalten des Verbrauchers kein Verhalten liegt, dass die Bank zu der Annahme berechtigten kann, der Verbraucher würde künftig nicht mehr von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen (vgl. BGH Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 564/15 -, Rn. 39). Darüber hinaus stehe der Bank jederzeit die Möglichkeit zur Nachbelehrung zur Verfügung (vgl. BGH Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 564/15 -, Rn. 41).
Auf der anderen Seite gab der BGH aber vor, dass bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein kann, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach. Denn zwar besteht die Möglichkeit der Nachbelehrung auch nach Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags von Gesetzes wegen fort. Eine Nachbelehrung sei aber nicht mehr sinnvoll, weil die Willenserklärung auf Abschluss des Darlehensvertrages, auf die sich der Widerruf bezieht, für den Verbraucher keine in die Zukunft gerichteten belastende Rechtsfolgen mehr hat (vgl. BGH Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 501/15 -, Rn. 41).
Deshalb urteilten, wie anfangs beschrieben, die OLGs in der Folge, dass in den Fällen, in denen das Darlehen bei Ausübung des Widerrufsrechts noch nicht abgelöst war, der Widerruf des Verbrauchers auch nicht verwirkt war, sind sich aber in den Fällen, in denen das Darlehen erst abgelöst wurde und der Verbraucher danach den Widerruf erklärte, zutiefst uneinig.
Beispiele:
Das OLG Köln geht bei einem Widerruf nach Ablösung des Darlehens regelmäßig davon aus, dass das Vertrauen der Bank auf den Bestand des Vertrages durch die Ablösung schützenswert ist.
Das OLG Düsseldorf, wenige Kilometer den Rhein hinab, sieht das Vertrauen der Bank als nicht schützenswert, dies nicht einmal dann, wenn zum Zwecke der Ablösung ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde:
„Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Kläger den Weg der Ablösung gegen Vorfälligkeitsentschädigung gewählt hätten, wenn Ihnen zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit des Darlehenswiderrufes bekannt gewesen wäre, beispielsweise aufgrund einer von der Beklagten in diesem Zusammenhang erteilten Nachbelehrung über das noch nicht erloschene Widerrufsrecht (hierzu Nachfolgend), mit dem Sie jederzeit die noch nicht abgelaufene Widerrufsbelehrung hätte in Gang setzen können.“ (OLG Düsseldorf Urt. v. 25.11.0216 - I-16 U 5/16 -)
Mit der Entscheidung vom 24.01.2017 (- 6 U 96/16 -) hat sich das OLG Stuttgart mit der Rechtsprechung des BGH hierzu eingehend auseinandergesetzt und mit einer ausführlichen Begründung dazu Stellung genommen, warum auch das Widerrufsrecht bei einem zuvor beendeten Verbraucherdarlehensvertrag nicht verwirkt ist.
Zur Begründung führt es, unter Berücksichtigung der der eigenen Aufhebung durch BGH Urt. v. 11.10.2016 - XI ZR 482/15 -, an, dass auch in einer Ablösung des Darlehensvertrages kein Verhalten des Verbrauchers gesehen werden kann, das die Bank in der Annahme bestärken könnte, der Verbraucher werde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Dabei greift es auch die Argumentation des OLG Düsseldorf auf.
Im Wesentlichen führt es an:
Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Darlehensvertrag auf Wunsch des Verbrauchers vorzeitig beendet wurde, stehe nicht fest, dass die Bank darauf vertrauen durfte, der Verbraucher würde den Darlehensvertrag nicht mehr widerrufen.
Eine Verwirkung erfordert ein besonderes Verhalten des Verbrauchers, welches das Vertrauen der Bank auf ein Unterlassen des Widerrufs rechtfertigt. Dass bereits die auf Wunsch des Verbrauchers erfolgte vorzeitige Beendigung des Vertrages dieses besondere Verhalten darstelle, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 12.07.2016 (- XI ZR 501/15 -) nicht.
Diesen Schluss konnte die Bank aus dem Verhalten des Verbrauchers nicht ziehen, weil sie damit rechnen musste, dass dem Verbraucher sein Widerrufsrecht bei Ablösung des Kredits und auch in der Zeit danach nicht bekannt war. Für die Bank bestand kein Anlass, zu unterstellen, dass der Verbraucher das Bestehen eines Widerrufsrechts geprüft oder auch nur in Betracht gezogen hat. Aus der maßgeblichen Sicht der Bank ist das Fortbestehen des Widerrufsrechts für den Verbraucher gerade dann nicht ohne weiteres erkennbar, wenn die Widerrufsbelehrung den Anschein der Richtigkeit und Vollständigkeit erweckt (so auch der BGH Urt. v. 12.07. 2016 - XI ZR 564/15 -, Rn. 40).
Da aus Sicht der Bank zu unterstellen war, dass der Verbraucher die Aufhebungsvereinbarung geschlossen und erfüllt hat, ohne einen Widerruf überhaupt in Erwägung gezogen zu haben, gab es keinen Grund für die Annahme, der Kläger übe sein Widerrufsrecht bewusst nicht aus. Aus Sicht der Bank war es vielmehr naheliegend, dass der Verbraucher nur deshalb zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung bereit war, weil ihm nicht bekannt war, dass er sich auch ohne Vorfälligkeitsentschädigung von dem Vertrag lösen konnte.
Insofern hatte das Versprechen des Verbrauchers, mit der Vorfälligkeitsentschädigung das Interesse der Beklagten an der weiteren Erfüllung des Vertrages auszugleichen, in Bezug auf die Frage, ob er sein Widerrufsrecht noch ausüben würde, keine weitergehende Aussagekraft als sein vertragstreues Verhalten während der Vertragslaufzeit, aus dem der Darlehensgeber - wie oben ausgeführt - kein schutzwürdiges Vertrauen herleiten kann.
Wir meinen, das OLG Stuttgart hat völlig zutreffend entschieden. Der BGH wird sich angesichts der unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte erneut hiermit befassen müssen.
Die Verbraucher, die ihr Widerrufsrecht nach Ablösung ausgeübt haben und nun in einem OLG-Bezirk mit ungünstiger Rechtsprechung (z.B. Köln) hierzu klagen müssen, oder bereits geklagt haben, können daher aufatmen. Angesicht der Rechtsprechung des OLG Stuttgart, dürften die OLG Richter keine andere Wahl mehr haben, als eine Entscheidung durch den BGH zuzulassen.
Eine Entscheidung durch den BGH ist zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung dringend erforderlich. Deshalb bereiten wir uns aktuell darauf vor, den Gang zum BGH anzutreten und halten Sie über die kommenden Entwicklungen auf dem Laufenden.
Alexander Münch
Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
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