09. September 2019

OLG Düsseldorf zur Tageszinsangabe von 0,00 € in Widerrufsinformationen

In vielen privaten Darlehensverträgen (Möbel-, Autofinanzierung usw.), die nach dem 11.06.2010 geschlossen worden sind, ist in den Widerrufsinformationen nachfolgende Formulierung zu finden:

Widerrufsfolgen

Sie haben innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 0,00 Euro zu zahlen. Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde.“

Nach näherer Betrachtung lässt diese Formulierung den durchschnittlichen, juristisch nicht vorgebildeten Verbraucher darüber im Unklaren, ob er zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung den vereinbarten Sollzins zu entrichten hat. Mit dem nachfolgenden Satz wird zunächst klargestellt, dass das Darlehenskapital für den Zeitraum zwischen der Auszahlung bis zur Rückzahlung infolge des Widerrufs mit dem vereinbarten Sollzins zu verzinsen ist:

„Sie haben innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten.“

Soweit ist dem Darlehensnehmer klar, dass er auf das ausgezahlte Kapital den vertraglichen Sollzins zu zahlen hat. In dem folgenden Satz wird dem Darlehensnehmer jedoch mitgeteilt, dass die Höhe dieses vertraglichen Sollzinses als Tagespreisangabe 0,00 € beträgt:

„Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 0,00 Euro zu zahlen.“

Wenn die Tagespreisangabe für den vertraglichen Sollzins 0,00 € beträgt, ist jedoch unklar, ob der vertraglich vereinbarte Sollzins ebenfalls 0,00 € beträgt, denn laut dem vorherigen Satz muss der Darlehensnehmer zwischen der Auszahlung und Rückzahlung infolge des Widerrufs den vertraglich vereinbarten Sollzinssatz entrichten.

Uneinigkeit unter Gerichten

Dieser Widerspruch hat bereits mehrere Gerichte beschäftigt. Zunächst hat das LG Hamburg im Jahr 2016 entschieden, dass diese widersprüchliche Angabe irreführend ist und demzufolge zum Widerruf berechtigt. 2017 hat das Oberlandesgericht Hamburg diese Formulierung jedoch als eine von der Gesetzeslage abweichende Vereinbarung zugunsten des Darlehensnehmers angesehen. Entgegen der Auffassung des OLG Hamburg hat das LG Stuttgart im Jahr 2018 diese Formulierung für irreführend erklärt. Das OLG Köln wiederrum hat sich Ende 2018 der Auffassung des OLG Hamburg angeschlossen.

OLG Düsseldorf mit verbraucherfreundlicher Entscheidung

Das OLG Düsseldorf hat sich in seinem Urteil vom 28.05.2019 – Az.:  I-9 U 77/18 – der bisherigen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamburg + OLG Köln) nicht angeschlossen. Vielmehr hat das Gericht die Auslegungsregeln von allgemeinen Geschäftsbedingungen – Widerrufsinformationen stellen nach der BGH-Rechtsprechung allgemeine Geschäftsbedingungen dar – richtig angewandt und konnte im Rahmen der sog. „kundenfeindlichsten Auslegung“ diese Formulierung nicht als eine von der Gesetzeslage abweichende Vereinbarung zugunsten des Darlehensnehmers auslegen, vollkommen zu Recht.

So argumentierte das OLG Düsseldorf:

„bb) Entgegen Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 2 EGBGB in der vom 4. August 2011 bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung wurde jedoch der im Falle des Widerrufs auf ein bereits ausgezahltes Darlehen pro Tag zu entrichtende Zinsbetrag nicht ordnungsgemäß angegeben. Der Betrag von „0,00 Euro“ entspricht nicht dem sich aus dem vereinbarten Sollzins ergebenden Betrag. 

Die Angabe „0,00 Euro“ kann auch nicht als von der Gesetzeslage abweichende Vereinbarung zugunsten des Darlehensnehmers gerechtfertigt werden. Auf vorformulierte Widerrufsinformationen finden die Grundsätze für allgemeine Geschäftsbedingungen Anwendung (vgl. BGH, NJW 2017, 1306 Rn. 20). Sie sind daher nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden (vgl. BGH, NJW 2006, 1059 Rn. 16). Abzustellen ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH, NJW 2016, 401 Rn. 22). 

Zweifel bei der Auslegung gehen nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Nach ständiger Rechtsprechung führt diese Auslegungsregel dazu, dass bei einer mehrdeutigen Klausel von den möglichen Auslegungen diejenige zu Grunde zu legen ist, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Denn damit ist die scheinbar „kundenfeindlichste” Auslegung im Ergebnis regelmäßig die dem Kunden günstigste (vgl. BGH, NJW 2009, 2051 Rn. 11). Außer Betracht zu bleiben haben insoweit nur solche Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind (vgl. BGH, NJW 2009, 2051 Rn. 11). 

Nach diesen Grundsätzen kann die Angabe eines Tageszinses von „0,00 Euro“ in der vorliegenden Konstellation nicht als Verzicht der Beklagten auf die Verzinsung eines bereits ausgezahlten Darlehens ausgelegt werden. Ein in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung „ewiges“ Widerrufsrecht, das auch noch nach Jahren ausgeübt werden kann, ist für den Darlehensnehmer regelmäßig günstiger als eine – gegebenenfalls auf die Zeit bis zum Ablauf der dreißigtägigen Rückzahlungsfrist beschränkte – Zinsbefreiung. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat sich der von anderen Oberlandesgerichten vertretenen Auffassung, die Angabe eines Tageszinsbetrages von 0,00 Euro sei als Vereinbarung zugunsten des Darlehensnehmers unschädlich (so etwa OLG Köln, Urt. v. 6. Dez. 2018, 24 U 112/18, BeckRS 2018, 35784 Rn. 16 m. w. Nw.), nicht anzuschließen: 

Bei (scheinbar) kundenfeindlichster Auslegung liegt ein dahingehendes Verständnis, bei der Angabe „0,00 Euro“ handele es sich um einen schlichten Eintragungsfehler und nicht um die Erklärung eines Verzichtswillens seitens der Beklagten, zumindest nahe. So steht die Angabe im Widerspruch zum einleitenden Satz, wonach für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens der vereinbarte Sollzins zu entrichten ist. Zudem macht der nachfolgende Hinweis, der Betrag verringere sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde, bei einem Verzicht auf eine Nutzungsentschädigung für den Fall des Widerrufs in den Augen des Verbrauchers keinen Sinn. 

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass diese Formulierungen durch das Muster vorgegeben seien. Wie vorstehend ausgeführt, ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Der durchschnittliche Darlehensnehmer kennt jedoch weder das Muster noch weiß er um dessen Verbindlichkeit für die Gesetzlichkeitsfiktion. Für ihn bestehen daher die dargestellten Widersprüche, die den Schluss auf einen schlichten Eintragungsfehler nahelegen, zumindest aber nicht als praktisch fernliegend erscheinen lassen.“

Finale Entscheidung durch BGH

Da es in der Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich also eine stark abweichende Rechtsprechung der verschiedenen Oberlandesgerichte gibt, müssen alle Oberlandesgerichte, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen. Das bedeutet, dass der Bundesgerichtshof letztlich darüber entscheiden muss.

Ob die Banken es tatsächlich auf die Revision ankommen lassen werden oder die Rechtsstreite eher vergleichen werden, um ein BGH-Urteil zu vermeiden, bleibt zunächst abzuwarten. Nach unserer Einschätzung gehen wir allerdings davon aus, dass die Banken nach diesem Urteil des OLG Düsseldorf auch außergerichtlich vergleichsbereit sein werden.

Sollten Sie in Ihrem Darlehensvertrag die o. g. Formulierung festgestellt haben, lassen Sie sich umgehend von einem Fachanwalt beraten. Nach unserer Erfahrung übernehmen Rechtsschutzversicherungen die anwaltlichen sowie gerichtlichen Gebühren. Für eine Einschätzung Ihres Falls stehen wir Ihnen in unserem kostenlosen Erstgespräch zur Verfügung.

Alexander Münch
Alexander Münch

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.

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