15. November 2024

OLG Nürnberg: Hinweisbeschluss gegen den Sportwettanbieter tipico

Wohl keine Rechtsfrage in glücksspielrechtlichen Verfahren ist derzeit umstrittener, als die nach einer Aussetzung gem. § 148 ZPO.

Der Bundesgerichtshof setzt derzeit glücksspielrechtliche Verfahren aufgrund eines sog. Vorlageverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof aus. Zu beobachten ist, dass anfänglich die Instanzgerichte den Bundesferichtshof folgten und ebenfalls glücksspielrechtliche Verfahren aussetzten. Erfreulicherweise ist aktuell aber ein gegenteiliger Trend zu beobachten. Es mehreren sich die Entscheidungen, die eine Aussetzung ausdrücklich ablehnen:

Der 14. Senat des OLG Nürnberg erlässt überzeugenden Hinweisbeschluss gegenüber dem Sportwettanbieter tipico

Mit einem Hinweisbeschluss vom 07.11.2024 teilte der 14. Senat des OLG Nürnberg seine rechtliche Auffassung hinsichtlich der Behandlung konzessionsloser Online-Sportwetten mit.

In seiner Entscheidung nimmt der Senat auch ausführlich zu einer beantragten Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO Stellung und lehnt diese ab. Neben dem Oberlandesgericht Stuttgart und dem Oberlandesgericht Köln, hat sich somit ein weiteres Oberlandesgericht ausdrücklich gegen eine Aussetzung positioniert. Kritische Stimmen zu einer Aussetzung in gleichgelagerten Fällen sind ebenso vom Oberlandesgericht München wahrzunehmen.

Was ist eine Aussetzung nach § 148 ZPO?

Zunächst ist der Regelungszweck des § 148 ZPO aufzuzeigen.

§ 148 ZPO regelt die Möglichkeit der Aussetzung eines Verfahrens bei Vorgreiflichkeit, wenn also die Entscheidung des Rechtsstreits von einem anderen Verfahren oder einer anderen Entscheidung abhängt.

Vereinfacht bedeutet dies, dass beispielsweise ein Instanzgericht (Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht) ein Verfahren „pausieren“ kann, wenn eine höchstrichterliche Entscheidung zu einem gleichgelagerten Fall absehbar ist.

Hierdurch soll die Entscheidungsharmonie der Rechtsprechung gewährleistet werden.

Allerdings steht eine Aussetzung immer in einem „Spannungsverhältnis“ zum sog. Vollzugsinteresse der klagenden Partei. Eine Aussetzung soll nicht zur Prozessverschleppung dienen.

Da in glücksspielrechtlichen Fällen zwischenzeitlich auch der Europäische Gerichtshof involviert ist, hat sich der Bundesgerichtshof bei einer Aussetzung nach § 148 ZPO ebenso an der Vorschrift des Art. 267 III AEUV zu orientieren.

Bei Art. 267 AEUV sind insbesondere der zweite und dritte Absatz zu beachten:

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.

Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.

Den hervorgehobenen Passagen der Vorschrift lässt sich entnehmen, dass ein Gericht eine Frage an den europäischen Gerichtshof stellen kann, dies aber keineswegs muss.

Anderes gilt für den Bundesgerichtshof. Da dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angegriffen werden können (=die letzte Instanz) ist dieser bei einer Vorlage vor dem EuGH zur Aussetzung verpflichtet.

Dem Bundesgerichtshof steht somit, im Gegensatz zu den Instanzgerichten, kein Ermessen, also keine Wahlmöglichkeit zu.

Nach unserer Auffassung hat der Bundesgerichtshof, gerade im Bereich der Online-Sportwetten, die Aussetzung notgedrungen vorgenommen.

Dieser Eindruck verstärkt sich u.a. durch die Berichterstattung zur letzten mündlichen Verhandlung des höchsten Gerichts zu Online-Sportwetten.

Diesbezüglich erlauben wir uns auf den durchweg gelungenen Artikel des Legal Tribune Online Magazins „LTO“, vom 28.06.2024 zu verweisen:

Online-Sportwetten vor dem BGH "Die letzte Bastion für den Spielerschutz", abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/online-sportwetten-unerlaubtes-gluecksspiel-bundesgerichtshof-tipico

Auswirkung auf die Instanzgerichte

Es kann festgehalten werden, dass die Frage einer Aussetzung bei den Gerichten auf unterschiedliche Resonanz stößt.

Festzustellen ist, dass die Gerichte, die sich mit den rechtlichen Fragen einer Aussetzung und dem glücksspielrechtlichen Hintergrund gründlich auseinandersetzten, eine Aussetzung regelmäßig verneinen.

Mehr und mehr Gerichte erkennen die offensichtliche Verschleppungsabsicht der Glücksspielanbieter, würdigen die Erfolgschancen der Klagen und würdigen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des EuGH im Rahmen ihres Ermessens – mit der Folge, dass eine Aussetzung abgelehnt wird.

So lehnt, wie bereits aufgezeigt, der 14. Senat des OLG Nürnberg mit überzeugender Argumentation, welche wir nur auszugsweise darstellen, eine Aussetzung ab:

Im Übrigen macht der Senat von dem ihm entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das Verfahren nicht auszusetzen. Bei der Ermessensausübung sind die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen (vgl. BeckOK/Wendtland, ZPO, Stand: 01.09.2024, § 148 Rn. 13, m.w.N.). Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 22.03.2024,1 ZR 88/23) erscheint dem Senat ein Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten nicht in einem Maße als wahrscheinlich, welches es rechtfertigen könnte, dem Interesse des Klägers an der Vermeidung einer Verfahrensverzögerung einen geringeren Stellenwert beizumessen. (OLG Nürnberg Hinweisbeschluss v. 07.11.2024, Az.: 14 U 1093/24).

Zurecht macht das OLG Nürnberg darauf aufmerksam, dass die rechtlichen Ausführungen des BGH und auch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH eine Entscheidung des EuGH-Vorlageverfahrens zugunsten der Glücksspielanbieter als überaus unwahrscheinlich qualifiziert werden muss, mit der Folge, dass eine Aussetzung des Verfahrens ausscheidet.

Das OLG Nürnberg lässt, nach unserer Auffassung völlig richtig, auch keine Revision zum BGH zu. Die strittigen Rechtsfragen sind bereits ausreichend geklärt und eine Revision ist auch nicht zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung nötig.

Die erfreuliche Entscheidung des 14. Senats des OLG Nürnberg wird, wie auch vergleichbare Entscheidungen des OLG Köln und OLG Stuttgart, zur Folge haben, dass auch weitere Instanzgerichte die Frage einer Aussetzung künftig neu überdenken werden.

Haben Sie glücksspielrechtliche Verluste erlitten? Nutzen Sie unsere kostenlose Erstberatung! Unsere Kanzlei verfügt seit Jahren über glücksspielrechtliche Expertise. Neben den Verlusten aus konzessionslosem Glücksspiel, machen wir ebenso erfolgreich Verstöße gegen das Einzahlungslimit oder gegen die OASIS-Sperrdatei geltend. Rechtlich beraten können wir Sie überdies bei verweigerter Auszahlung von Gewinnen, welche mit Boni erspielt wurden.

von Benedikt Nilges
Benedikt Nilges

Angestellter Rechtsanwalt

Wir helfen Ihnen gerne! Kontaktieren Sie uns. Oder vereinbaren Sie hier online einen Termin für eine telefonische kostenfreie Erstberatung.

4,5/5 Sterne (6 Stimmen)

Zurück

Navigation öffnen Schließen E-Mail Telefon Suche Online-Terminvereinbarung Mehr lesen