26. November 2024

Schadensersatz nach Unfall trotz psychischer Vorbelastung des Geschädigten

Körperliche Verletzungen nach Unfällen sind in der Regel offensichtlich und Schadensersatzansprüche vergleichsweise einfach zu ermitteln. Bei psychischen Folgen von Unfällen ist die Sachlage hingegen schwieriger zu beurteilen. Und doch haben Betroffene Anspruch auf Entschädigung, wenn die psychischen Störungen als Folge des Unfalls auftreten. Entscheidend ist, ob diese Kausalität nachgewiesen werden kann. Doch das ist bei bestehenden psychischen Vorbelastungen des Geschädigten oft nicht so einfach.

Mit Urteil vom 19.03.2024 (Az.: 7 U 93/23) hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein dem Opfer eines Verkehrsunfalles wegen physischer und psychischer Verletzungen teilweise Schadenersatz zugesprochen. In dem Fall ging es um die Folgen eines Verkehrsunfalls, der sich am 23. August 2014 ereignet hatte. Dabei war der Kläger, ein damals 62-jähriger Motorradfahrer, gestürzt, nachdem ihm das gegnerische Fahrzeug die Vorfahrt genommen hatte. Zu einem direkten Zusammenstoß war es nicht gekommen, doch der Kläger erlitt durch den Sturz eine Rippenfraktur und wurde notärztlich behandelt.

OLG Schleswig-Holstein: 7 Monate Erwerbsunfähigkeit auf Unfall zurückzuführen

Dass die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners grundsätzlich zu haften hatte, war in dem Verfahren unumstritten. Strittig war hingegen, ob die psychischen und physischen Beeinträchtigungen des Klägers auf den Unfall zurückzuführen waren, und in welcher Höhe Schadensersatzansprüche bestanden. Anerkannt wurde eine unfallbedingte Erwerbsunfähigkeit von etwa sieben Monaten. Doch die späteren psychischen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte angab, seien laut der beklagten Versicherung auf dessen psychische Vulnerabilität, und nicht auf den Unfall zurückzuführen.

In seiner Entscheidung hat das OLG Schleswig-Holstein die Berufungen beider Parteien teilweise berücksichtigt. Das Gericht verurteilte die Versicherung zur Zahlung eines Verdienstausfallschadens und von Schmerzensgeld, allerdings in einer geringeren Höhe als vom Kläger gefordert. Die Richter erkannten an, dass der Kläger bis Ende März 2015 unfallbedingt erwerbsunfähig war. Eine länger anhaltende Erwerbsunfähigkeit wurde jedoch auf vorbestehende, unfallunabhängige Umstände zurückgeführt.

Wann eine Fehlverarbeitung des Geschehens nicht als unfallbedingt gilt

Es gibt drei Szenarien, in denen eine psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens nicht als unfallbedingt anerkannt wird: Bagatellunfall, Begehrensneurose des Geschädigten und überholende Kausalität. Bei Bagatellunfällen mit geringer Aufprallenergie ist die Kausalität häufig fraglich und muss mit besonderer Sorgfalt nachgewiesen werden. Bei einer Begehrensneurose nimmt der Anspruchsteller den Unfall zum Anlass, um damit seine finanzielle Versorgung zu sichern und nicht mehr oder nicht im üblichen Umfang am Erwerbsleben teilnehmen zu müssen.

Bei der überholenden Kausalität wird dem Unfallverursacher der Schaden – hier die psychische Beeinträchtigung – dann nicht zugerechnet, wenn dieser wegen einer Vorerkrankung oder psychischen Disposition auch dann eingetreten wäre, wenn es nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Die Beweislast für das Vorliegen einer anderen Ursache für den Schaden liegt jedoch beim Schädiger. Auch wenn eine psychische Vorbelastung des Geschädigten vorliegt, muss der Schädiger für eine psychische Fehlverarbeitung haften, wenn hinreichend dargelegt werden kann, dass die psychischen Beeinträchtigungen ohne den Unfall nicht eingetreten wären. Für die Haftung des Unfallverursachers reicht es also aus, wenn eine unfallbedingte Mitverursachung nachgewiesen werden kann.

Bestimmung von Vorbelastungen und Unfallfolgen durch Gutachten

Bei seiner Entscheidung hat das OLG Schleswig-Holstein die psychischen und physischen Vorerkrankungen des Klägers berücksichtigt. Die vom Gericht beauftragten Gutachter kamen zu dem Schluss, dass eine unfallbedingte psychische Belastung bis Ende März 2015 bestand. Spätere Beeinträchtigungen führten sie jedoch auf die spezifische Vulnerabilität des Klägers zurück. Aufbauend auf dieser Einschätzung kürzte das Gericht die Schadensersatzansprüche des Klägers auf 15.000 €.

Dieses Urteil verdeutlicht, wie komplex die Bestimmung von psychischen Unfallfolgen und den damit verbundenen Schadensersatzansprüchen ist. Insbesondere bei Vorliegen von Vorerkrankungen der Betroffenen ist eine detaillierte medizinische und juristische Bewertung nötig. Die Herausforderung bei psychischen Beeinträchtigungen besteht darin, dass sie häufig nur schwer zu erkennen sind, die Betroffenen aber stark belasten. Aufgrund der juristischen Komplexität schrecken viele Geschädigte davor zurück, Schadensersatzansprüche anzumelden. In der Anwaltskanzlei Lenné prüfen wir alle relevanten Umstände Ihres Falls eingehend, um zu klären, ob und in welcher Höhe Ersatzansprüche bestehen, und setzen diese gegenüber der gegnerischen Versicherung durch. Gerne beraten wir Sie zum besten Vorgehen im Zuge eines kostenlosen Erstgesprächs.

von Martina Bergmann
Martina Bergmann

Angestellte Rechtsanwältin

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