Sexualstrafrecht im Wandel – § 184i StGB und die strafrechtliche Einordnung sexueller Belästigung
Das Sexualstrafrecht hat in den letzten Jahren einen umfassenden Wandel durchlaufen. Anstoß gaben nicht zuletzt gesellschaftliche Bewegungen wie #MeToo, die eine neue Sensibilität im Umgang mit sexuellen Übergriffen forderten. Im Zentrum dieser Entwicklung steht insbesondere § 184i StGB, der seit der Reform im Jahr 2016 die sexuelle Belästigung unter Strafe stellt. Der Straftatbestand ist Ausdruck des Bemühens des Gesetzgebers, auch niedrigschwellige sexuelle Übergriffe strafrechtlich zu erfassen.
Gesetzliche Regelung und Tatbestandsmerkmale
§ 184i Abs. 1 StGB lautet:
„Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“
Die Vorschrift besteht aus drei zentralen Tatbestandsmerkmalen:
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Sexuell bestimmte körperliche Berührung: Es reicht bereits eine Berührung aus, die nach Auffassung eines objektiven Beobachters sexuell motiviert ist – z. B. das unerwünschte Streicheln oder das Anfassen des Gesäßes oder der Brüste.
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Würdeverletzung: Die Handlung muss die sexuelle Selbstbestimmung in einem Maße beeinträchtigen, das als entwürdigend einzustufen ist.
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Vorsatz: Der Täter muss hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale mit Wissen und Wollen handeln.
Abgrenzung zu anderen Sexualdelikten
Im Unterschied zu schweren Delikten wie sexueller Nötigung (§ 177 StGB) oder Vergewaltigung erfasst § 184i StGB auch Übergriffe, die unterhalb der Schwelle der Gewaltanwendung oder Drohung liegen. Der Gesetzgeber wollte hier eine Lücke schließen: Während nach alter Rechtslage etwa das willkürliche Anfassen im Gedränge oftmals straffrei blieb, ist dies nun explizit verboten.
Kritik und Herausforderungen
Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals „Würdeverletzung“. Wann genau eine Berührung die Würde der betroffenen Person verletzt, ist von Fall zu Fall verschieden und kann von Gerichten unterschiedlich ausgelegt werden. Kritiker sehen hierin einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 GG.
Zudem wird bemängelt, dass das Strafrecht auf Situationen ausgedehnt werde, die eher dem Ordnungswidrigkeiten- oder Zivilrecht zuzuordnen seien. Ultima Ratio – das Prinzip, wonach das Strafrecht das letzte Mittel staatlicher Sanktionen sein soll – gerät dadurch in den Hintergrund.
In der Praxis ist die Beweislage häufig schwierig. Meist steht Aussage gegen Aussage; konkrete Spuren oder Zeugen fehlen.
Aktuelle Rechtsprechung und Tendenzen
Die bisherige Rechtsprechung zeigt eine zurückhaltende Auslegung des Tatbestands. Nur in Fällen eindeutig übergriffigen Verhaltens (z. B. Anfassen des Intimbereichs) kommt es zu Verurteilungen. Gerichte sind bemüht, die Grenze zu alltäglichen, nicht strafwürdigen Berührungen – etwa im öffentlichen Raum – scharf zu ziehen.
Ein Beispiel ist die Entscheidung des LG Berlin (Urt. v. 16.07.2019 – 534 Ks 7/19), in der das bloße, kurze Berühren eines Oberschenkels in einer Bar nicht als strafbare sexuelle Belästigung eingestuft wurde, da keine entwürdigende Wirkung festgestellt werden konnte.
Anders urteilte das Amtsgericht München (Urt. v. 24.01.2018 – 854 Ds 454 Js 205686/17): Es verurteilte einen Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, weil dieser in einem Bus eine Frau sexuell belästigt hatte. Der Mann hatte sie an der Innenseite ihrer Oberschenkel angefasst. Das Gericht sah hierin eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung der Geschädigten.
Wie zu sehen ist, handelt es sich beim Straftatbestand des § 184i StGB stets um eine Einzelfallentscheidung, die die konkreten Umstände der Tat berücksichtigen muss.
Fazit und Ausblick
§ 184i StGB stellt einen wichtigen Fortschritt im Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dar – gerade für Opfer sogenannter „Alltagsübergriffe“. Zugleich verlangt der Tatbestand eine feinfühlige Anwendung, um weder Bagatellen zu kriminalisieren noch unklare Tatbestände zu schaffen.
Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Gerichte den Begriff der „Würdeverletzung“ weiter ausdifferenzieren werden. Dabei bleibt entscheidend, die Balance zwischen effektivem Opferschutz und rechtsstaatlichen Prinzipien zu wahren. Es zeigt sich erneut: Das Strafrecht ist nicht nur ein scharfes Schwert, sondern auch ein sensibles Instrument.
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Ulrike Frentzen
Angestellte Rechtsanwältin aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwältin Ulrike Frentzen ist auch Fachanwältin für Strafrecht
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