19. Dezember 2022

Wegweisende Urteile zur privaten Unfallversicherung – Teil 2

Insbesondere bei der privaten Unfallversicherung ist es kaum möglich, sämtliche Eventualitäten in den Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen. Dementsprechend kommt es nicht selten zu Streitigkeiten darüber, ob die Versicherung einen bestimmten Schaden zu übernehmen hat oder nicht – und wenn ja, in welcher Höhe. Gerichtsurteilen kommt daher in diesem Zusammenhang oft eine wegweisende Rolle zu. Wir haben für Sie sechs Urteile der letzten Jahre zusammengefasst, die in Bezug auf die private Unfallversicherung von Bedeutung sind.

Urteil 4: Allergischer Schock ist als unfallähnliches Ereignis anzusehen

Krankheiten sind in der Regel nicht von einer privaten Unfallversicherung umfasst. Ob das auch für einen allergischen Schock gilt, war eine Frage, die 2012 vor das Oberlandesgericht München kam (Az.: 14 U 2523/11). An Heiligabend 2009 war ein behindertes 15-jähriges Mädchen an den Folgen einer allergischen Reaktion gestorben. Sie hatte nusshaltige Schokolade verzehrt, auf die sie allergisch reagierte. Die Mutter hatte eine private Unfallversicherung abgeschlossen und forderte von der Versicherung einen Betrag von 27.000 Euro. Die Unfallversicherung verweigerte die Zahlung, weil es sich bei dem Vorfall nicht um einen Unfall gehandelt habe und auch die Todesursache nicht zweifelsfrei geklärt sei.

Das Landgericht Memmingen wies die Klage der Mutter gegen die Versicherung in erster Instanz zurück. Eine allergische Reaktion sei nicht als Unfall anzusehen, da es sich nicht um ein von außen gesteuertes Ereignis handele, wenn jemand willentlich Schokolade äße. Die Entscheidung wurde später vom Oberlandesgericht München aufgehoben. Die Richter holten ein medizinisches Sachverständigengutachten ein, welches zu dem Schluss kam, dass der Tod des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine allergische Reaktion zurückzuführen war. Auf welches Nahrungsmittel genau, war für die Entscheidung des Gerichts unerheblich. Das OLG München vertrat die Auffassung, dass es sehr wohl einen Unfall im Privatversicherungsrecht darstelle, wenn jemand unbewusst oder versehentlich ein Nahrungsmittel aufnähme, auf das er allergisch reagiere. Da die gesundheitsschädigende Einwirkung von Allergenen auf den Körper unfreiwillig und plötzlich – und von außen – eingetreten war, könne man im vorliegenden Fall von einem Unfallgeschehen ausgehen.

Urteil 5: Unfälle infolge von Schwindel werden nicht von Unfallversicherung abgedeckt

Gilt Schwindel als Bewusstseinsstörung? Diese Frage stand 2018 im Fokus einer Verhandlung vor dem Landgericht Bonn (Az.: 9 O 285/17). Die Klägerin hatte bei der Gartenarbeit durch wiederholtes Bücken und Aufrichten einen Schwindelanfall erlitten und war gestürzt. Sie gab an, dass sie infolge des Sturzes das Gehör auf dem rechten Ohr und ihren Geruchssinn dauerhaft verloren habe. Dementsprechend liege ein unfallbedingter Invaliditätsgrad von 25 % vor. Die Versicherung lehnte die Zahlung jedoch ab, da es sich bei dem Schwindelanfall um eine Bewusstseinsstörung gehandelt habe. Und laut Police bzw. §3 (4) der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen waren Unfälle infolge von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen ausgeschlossen.

Die Klägerin vertrat bei der Verhandlung die Auffassung, dass kurzzeitige Schwindelanfälle nicht zu den in § 3 (4) AUB genannten Bewusstseinsstörungen zählen sollten. Das LG Bonn ließ diese Argumentation nicht gelten. Eine Bewusstseinsstörung beschreibe „einen – auch kurzzeitigen – Zustand, bei dem der Versicherte einen ,Schwindel‘ erleidet und in dessen Folge es zu einem Sturz kommt.“  Die Klage der Versicherungsnehmerin wurde abgewiesen.

Urteil 6: Hinterbliebene haben keinen Anspruch auf die Unfallrente des Verstorbenen

33 Jahre lang hat die Tochter eines Versicherungsnehmers dessen Unfallrente kassiert. Sie hatte die Versicherung nicht über den Tod ihres Vaters informiert, sodass diese die Verletztenrente weiterhin monatlich überwies.

Die Unfallrente in Höhe von ca. 500 Euro wurde dem Vater nach einem Arbeitsunfall im Jahr 1962 zugesprochen und dann regelmäßig auf das Postsparbuch seiner Ehefrau überwiesen. Weder sie noch die Tochter informierten die Versicherung über den Tod des Versicherungsnehmers. Laut deren Aussage sei dies keine Absicht gewesen. Da das Versicherungsunternehmen aber immer wieder Bescheide an den verstorbenen Versicherungsnehmer verschickte, hätte spätestens dann auffallen müssen, dass die Unfallrente weitergezahlt wurde, und die Versicherung informiert werden müssen, so das LSG Celle-Bremen. Tatsächlich erfuhr der Versicherer erst vom Tod des Versicherungsnehmers, als die Tochter eine Generalvollmacht für das Sparbuch ihrer inzwischen ins betreute Wohnen umgezogenen Mutter einreichte.

2017 verurteilte das Landessozialgericht Celle-Bremen die Tochter zur Rückzahlung der zu Unrecht kassierten Unfallrente in Höhe von 129.000 Euro (Az.: L 16/3 U 58/14). Die Richter übergaben die Akten außerdem an die Staatsanwaltschaft, um eine Strafbarkeit der Tochter prüfen zu lassen.

Es gibt zahlreiche Faktoren, die die Leistungserbringung einer Unfallversicherung beeinträchtigen können. Dabei gilt es nicht nur, die Bedingungen der Versicherungspolice genauestens zu berücksichtigen, sondern auch die individuellen Rahmenbedingungen des Unfalls sowie mögliche Präzedenzfälle. In unserer Kanzlei kennen wir diese Parameter genau und beraten Sie gerne zu Ihrem persönlichen Fall. Um Ihre Ansprüche bestmöglich durchzusetzen und böse Überraschungen zu vermeiden, raten wir dazu, sich frühestmöglich von uns beraten zu lassen. Nutzen Sie dafür gerne das kostenlose Erstgespräch in unserer Kanzlei. Den ersten Teil des Artikels können Sie hier nachlesen.

Guido Lenné
Guido Lenné

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

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