08. Juni 2023

Wenn Versicherer die BU anfechten

Bei kaum einer anderen Versicherung kommt es so häufig zu rechtlichen Auseinandersetzungen wie bei der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Schließlich geht es dabei für die Versicherungen um viel Geld. Nicht selten berufen sie sich daher auf sog. Gestaltungsrechte, die es ihnen ermöglichen, sich unter gewissen Voraussetzungen von dem Versicherungsvertrag zu lösen. Neben Kündigung, Rücktritt und Vertragsanpassung kann der Versicherer den Versicherungsvertrag aber auch anfechten, wodurch dieser rückwirkend zum Erliegen kommt. Dann steht der Versicherungsnehmer u. U. vollständig ohne Schutz da.

Wann kann der Versicherer den Vertrag anfechten?

Gemäß § 22 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit § 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann der Versicherer einen Vertrag nur unter sehr straffen Voraussetzungen anfechten. Beruft sich der Versicherer z. B. auf einen Irrtum in Bezug auf einfache Umstände, ist die Anfechtung des Versicherungsvertrages nur dann zulässig, wenn es sich nicht um gefahrerhebliche Umstände handelt.

Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung im Sinne des § 22 VVG hat hingegen bessere Erfolgschancen, denn hier gibt es keine Beschränkung auf bestimmte Umstände. Voraussetzung ist, dass seitens des Versicherungsnehmers objektiv eine Täuschung vorliegt und dass diese bewusst bzw. arglistig erfolgt ist, also mit dem Ziel, den Versicherer zum Vertragsabschluss zu bewegen. Auch das Verschweigen relevanter Informationen gilt als Unterlassung und somit als Täuschung. Maßgeblich ist die Relevanz der betreffenden Informationen für den Versicherer. Als für den Vertragsabschluss relevante Informationen gelten solche, die direkt im Zusammenhang mit dem Versicherungszweck stehen, also etwa die ausgeübte berufliche Tätigkeit, das zu versichernde Einkommen oder der Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers.

Wichtig: Eine Täuschung liegt auch dann vor, wenn nicht der Versicherungsnehmer selbst die falschen Angaben gemacht hat, sondern sein Versicherungsmakler. Gemäß § 166 Abs. 1 BGB ist die seitens des Maklers erfolgte Täuschung dem Versicherten zuzurechnen.

Eine falsche Angabe liegt hingegen nicht vor, wenn z. B. der im Vorfeld auszufüllende Gesundheitsfragebogen mehrdeutige oder unpräzise Fragen enthält, die der Versicherungsnehmer anders auslegen bzw. verstehen kann als der Versicherer. In seltenen Ausnahmefällen kann es vorkommen, dass den Versicherungsnehmer eine sog. „spontane Anzeigeobliegenheit“ trifft. Das bezieht sich auf Informationen, nach denen der Versicherer zwar nicht ausdrücklich gefragt hat, die aber für jeden erkennbar der Aufklärung des Versicherers dienen.

Damit eine Täuschung als arglistig gilt, muss klar sein, dass der Versicherungsnehmer bewusst unwahre Angaben gemacht hat, um dadurch die Entscheidung des Versicherers in Bezug auf den Vertragsabschluss zu beeinflussen. Das heißt, dem Versicherungsnehmer ist sehr wohl bewusst, dass der Vertrag bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen nicht zustande gekommen wäre.

Sind all diese Voraussetzungen gegeben, kann der Versicherer sein Anfechtungsrecht ausüben. Das muss er allerdings innerhalb einer gewissen Frist tun. Laut § 124 BGB hat der Versicherer ab dem Zeitpunkt, ab dem er Kenntnis von der Täuschung erlangt, ein Jahr Zeit, um gegenüber dem Versicherungsnehmer die Anfechtung ausdrücklich zu erklären. Die Frist beginnt jedoch erst zu laufen, wenn die Versicherung Kenntnis von der objektiven Täuschung und von der subjektiven Arglist hat. Gemäß § 21 Abs. 3 S. 2 VVG gilt, dass eine Anfechtung nicht mehr möglich ist, wenn die arglistige Täuschung mehr als zehn Jahre zurückliegt.

Wer trägt bei einer Anfechtung die Beweislast?

Grundsätzlich obliegt es dem Versicherer zu beweisen, dass objektiv eine Verletzung der Anzeigepflicht, also eine Täuschung, vorliegt. Wurde der Vertrag durch einen Versicherungsagenten im Auftrag des Versicherungsnehmers beantragt, muss der Versicherer beweisen, dass der Versicherungsnehmer dem Agenten die Gesundheitsfragen nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat.

Zudem muss er beweisen, dass die Täuschung arglistig erfolgt ist, also dass dem Versicherungsnehmer bewusst war, wie sich die Falschinformation auf die Entscheidungsfindung des Versicherers auswirkt. Kann der Versicherer nachweisen, dass der Vertragsabschluss durch die Falschangabe herbeigeführt wurde, reicht das in den meisten Fällen aus.

Wenn der Versicherer seine Beweislast erfüllt hat, trifft den Versicherten die sog. sekundäre Darlegungslast. Das heißt, er muss glaubhaft die Motive und Hintergründe darlegen, die ihn zu der falschen Angabe bewegt haben – dass er also nicht arglistig gehandelt hat. Kann er dafür eine plausible Erklärung anführen, ist es wiederum am Versicherer zu beweisen, dass diese Erklärung den Vorwurf des arglistigen Handelns nicht entkräftet.

Welche Konsequenzen hat die Anfechtung für Versicherungsnehmer?

Wurden alle Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt und die Anfechtung fristgemäß ausgeübt, kann der Versicherer die Berufsunfähigkeitsversicherung rückwirkend und vollständig rückabwickeln. Wahlweise kann er den Vertrag auch nur teilweise anfechten (nämlich den Teil, in dem er getäuscht wurde). Dann bleibt der restliche Vertrag von der Anfechtung unberührt. Ein Anspruch des Versicherten auf Rückzahlung der Prämien besteht nach § 39 Abs. 1 S. 2 VVG nicht.

Versicherungsnehmern, deren BU angefochten werden soll, ist dringend zu raten, sich umgehend anwaltlichen Rat einzuholen, um frühzeitig gegen die Anfechtung vorzugehen und so die Chancen zu erhöhen, den Versicherungsschutz vollumfänglich zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Auch gegen Entscheidungen zur Leistung oder eben Nichtleistung seitens der Versicherer kann ggf. vorgegangen werden, wenn diese unzulässig bzw. rechtlich nicht haltbar sind. In unserer Kanzlei kennen wir uns mit dem Prozedere, den Pflichten und Fristen bestens aus und konnten schon für viele Mandanten den Versicherungsschutz retten und durchsetzen. Wenn auch Ihre Versicherung den Vertrag anfechten möchte, beraten wir Sie gerne unverbindlich im Rahmen eines kostenlosen Erstgesprächs.

Guido Lenné
Guido Lenné

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

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