Neues Urteil: Fast alle Kreditverträge doch widerrufbar?

Banken dürften über die jüngste Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) wenig begeistert sein. Das Gericht hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) über eine Formulierung in den Widerrufsbelehrungen vieler Banken gekippt. In der Folge sind nun tausende Darlehensverträge doch noch widerrufbar.

Welchen Vorteil bietet der Widerruf?

Wird ein Darlehensvertrag widerrufen, so ist dieser rückabzuwickeln. Das heißt, dass die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugeben sind.

Immobilienfinanzierung

Bei einem Immobiliendarlehen ist der Vorteil, dass der Darlehensvertrag vorzeitig beendet werden kann, ohne dass eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt werden muss.

Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man den Darlehensvertrag abgeschlossen hat, muss zudem nicht die volle Restschuld zurückgezahlt werden, da der Kunde auf sein eigenes, der Bank zur Verfügung gestelltes Kapital (die gezahlten Raten/Sondertilgungen) Nutzungsersatz, also Zinsen, verlangen kann. Damit steht der Verbraucher günstiger, als wenn er einfach nur das Darlehen zurückzahlen müsste.

Autokredit

Für Kreditverträge, die nach dem 12.06.2014 abgeschlossen wurden hat der Gesetzgeber die Rechtsfolgen des Widerrufs neu geregelt. Demnach sind im Falle des Widerrufs die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Fraglich ist aber, ob im Falle des Widerrufs auch Wert- bzw. Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer geschuldet wird. Mit den finanzierten Fahrzeugen wurden bereits zahlreiche Kilometer zurückgelegt.

Das Landgericht Berlin sagt: Im Falle des Widerrufs ist kein Wert- bzw. Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer geschuldet. Denn der Wert- bzw. Nutzungsersatz kommt nur dann in Betracht, wenn der Darlehensnehmer über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt wurde.

Was ist der rechtliche Hintergrund der neuen Gerichtsentscheidung?

Seit dem 11.06.2010 findet sich in nahezu jedem Verbraucherdarlehensvertrag folgende Formulierung:

„Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Der Bundesgerichtshof hatte bereits über die verwendete Formulierung entschieden und festgestellt, dass die Wendung in einem Verbraucherdarlehensvertrag, die Widerrufsfrist beginne „nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat“, für sich klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist informiert (BGH-Urt. v. 22.11.2016 - Az.: XI ZR 434/15).

Der EuGH hat nun die Rechtsauffassung des BGH abgelehnt. Mit Urteil vom 26.03.2020 – Az.: C 66/19 - hat der EuGH entschieden, dass diese Formulierung nicht geeignet ist, den Verbraucher hinreichend über die Voraussetzungen für den Fristbeginn zu informieren. Mit dem Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat (vgl. EuGH-Urt. v. 26.03.2020 - C 66/19 - Rn. 44).

Damit hat der EuGH der verbraucherfeindlichen Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt. Jetzt ist klargestellt, dass, angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz, die Informationen über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung sind. Um von diesen Informationen vollumfänglich profitieren zu können, muss der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen.

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von Guido Lenné

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Guido Lenné aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

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