04. Dezember 2017

BGH entscheidet erneut über die Frage der Verwirkung des Widerrufsrechts

Der Widerruf von Immobiliardarlehensverträgen war bereits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Mit mehreren Entscheidungen vom 10.10.2017 hat der BGH sich nun erneut zu der Frage der Verwirkung des Verbraucherwiderrufsrechts geäußert.

Was hat der Bundesgerichtshof entschieden?

Der Bundesgerichtshof hat erneut mehrere Urteile der Berufungsgerichte aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Berufungsgerichte zurückverwiesen. Nach der Rechtsauffassung des BGH hatten die Berufungsgerichte eine Verwirkung des Verbraucherwiderrufsrecht mit einer unzutreffenden Begründung abgelehnt.

Zu dem Rechtsinstitut der Verwirkung und der Rechtssprechungslage in Deutschland, hatten wir mit unserem Artikel vom 06.02.2017 und 04.05.2017 berichtet.

Die bisherige Rechtsprechung hat zu einer Rechtszersplitterung in Deutschland geführt. Die Annahme einer Verwirkung ergibt sich aus der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalls.
Anders ausgedrückt:
Jeder Richter legt den Sachverhalt anders aus. Ein identischer Sachverhalt kann daher zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wir hatten dies in dem Artikel vom 06.02.2017 an dem Beispiel des OLG Köln und des OLG Düsseldorf verdeutlich.

Der BGH hat nun sehr verbraucherfreundliche Entscheidungen des OLG Stuttgart und des OLG Koblenz aufgehoben. Zur Begründung hat der BGH angeführt, dass die Berufungsgerichte verschiedene Umstände des Sachverhalts unzutreffend gewürdigt hätten und so unzutreffend eine Verwirkung des Widerrufsrechts abgelehnt hätten.

Mit der Entscheidung vom 10.10.2017 - XI ZR 393/16 - hat der BGH folgenden Leitsatz aufgestellt:

„Von den gesetzlichen Verjährungshöchstfristen kann nicht auf ein "Mindestzeitmoment" für die Verwirkung des Verbraucherwiderrufsrechts geschlossen werden.“

Vorinstanz: OLG Stuttgart, Entscheidung vom 26.07.2016 - 6 U 33/16 -

Der BGH hat damit zum Ausdruck gebracht, dass kein Mindestzeitmoment für die Annahme einer Verwirkung gefordert werden kann. Auch vor dem Ablauf der Verjährungshöchstfristen kann damit das Widerrufsrecht verwirkt sein.

Mit den Entscheidungen vom 10.10.2017 - XI ZR 449/16 - und - XI ZR 450/16 - hat der BGH das OLG Koblenz aufgehoben, dass zwei starke Argumente gegen eine Verwirkung ins Feld geführt hatte.

Das OLG Koblenz hat die Ansicht vertreten, eine Verwirkung sei ausgeschlossen, da der Verbraucher keine Kenntnis von dem noch bestehenden Widerrufsrecht hatte. Weiterhin sei eine Verwirkung ausgeschlossen, da die Bank für das auch weiterhin bestehende Widerrufsrecht selbst verantwortlich sei, da sie dem Verbraucher keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hat.

„Revisionsrechtlicher Überprüfung anhand der neueren Senatsrechtsprechung (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30 f. und vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.) nicht stand halten aber die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat. Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1957 - II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 53 und vom 16. März 2007 - V ZR 190/06, WM 2007, 1940 Rn. 8). Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen - wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 41). Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016, aaO, Rn. 30; Senatsbeschluss vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 8).“

Der BGH hat damit letztlich zwar keine Aussage getroffen, dass in dem Fall einer vorzeitigen Beendigung auf Wunsch des Verbrauchers die Annahme einer Verwirkung unbedingt anzunehmen ist, dennoch hat der BGH erneut betont, dass gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein kann.

Eigentlich schon widersprüchlich hierzu hat der BGH aber ebenso am 10.10.2017 erneut betont, dass dem Verbraucher ein Wahlrecht zusteht, d. h. auch nach der vorzeitigen Beendigung des Darlehensverhältnisses ein Widerruf noch möglich sein soll, da dem Verbraucher das Recht zustehen muss, sich auf einfache Weise vom Darlehensvertrag zu lösen, ohne die mit sonstigen Nichtigkeits- oder Beendigungsgründen verbundenen, gegebenenfalls weniger günstigen Rechtswirkungen, wie z. B. eine Vorfälligkeitsentschädigung, in Kauf nehmen zu müssen:

„c) Das Berufungsgericht hat schließlich zutreffend gesehen, dass die auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der Kläger auch noch nach dessen Aufhebung - streng genommen: nach dessen vorzeitiger Beendigung - widerrufen werden konnten. Zweck des Widerrufsrechts ist, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, sich von dem geschlossenen Vertrag auf einfache Weise durch Widerruf zu lösen, ohne die mit sonstigen Nichtigkeits- oder Beendigungsgründen verbundenen, gegebenenfalls weniger günstigen Rechtswirkungen in Kauf nehmen zu müssen. Deshalb kann der Verbraucher seine auf Abschluss eines Verbrauchervertrags gerichtete Willenserklärung widerrufen, auch wenn die Parteien den Vertrag vor Ausübung des Widerrufsrechts einvernehmlich beendet haben, ohne sich - wie hier nicht - zugleich über das Widerrufsrecht zu vergleichen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 28).“ (BGH Urt. v. 10.10.0217 - XI ZR 455/16 -)

Eine klare Aussage hat der BGH damit erneut vermieden. Erneut konnte sich der XI. Zivilsenat nicht dazu durchringen Stellung zu beziehen, wann das Widerrufsrecht verwirkt sein soll.

In der Rechtsprechungspraxis wird dies auch weiterhin zur Rechtszersplitterung führen. Klar ist nämlich nur, dass in bzw. mit der Ablösung des Darlehens nicht auch zugleich die Verwirkung des Widerrufsrechts eintreten kann. Wie lange der Verbraucher nach der Beendigung noch Zeit hat den Widerruf zu erklären, bleibt durch die Würdigung des Einzelfalls zu ermitteln. Einfacher gesagt: Es liegt im Ermessen des Richters, nach welcher Zeitspanne er das Widerrufsrecht als verwirkt ansieht.

Bisher verbraucherfreundliche Gerichte dürften hier eher zu der Annahme einer langen Zeitspanne von 2 oder 3 Jahren tendieren, wohingegen bankfreundliche Gerichte hier zu der Annahme gelangen werden, dass bereits nach wenigen Monaten das Widerrufsrecht verwirkt ist.

Alexander Münch
Alexander Münch

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.

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